Kleider Machen Leute Englisch

Berlin – Alexander Kleider war ein unglücklicher Schüler. Es sei immer nur um Leistung gegangen, damals an seiner Schule in Böblingen, einer Kleinstadt in Baden-Württemberg. Die Atmosphäre sei eher feindselig gewesen, sagt er, schnell habe er jede Freude am Lernen verloren und die Neugier dazu. Mitschüler hätten ihn gemobbt, er habe mit Protest reagiert. Ließ die Haare verfilzen, trug sie als Dreadlocks, hörte HipHop, wollte anders sein. „Das war mein Schutzwall.“

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Alexander Kleider ist heute 41, er arbeitet als Filmemacher, produziert Dokumentationen für das Fernsehen. Und er ist Chef einer Filmfirma in Berlin. Sein jüngster Dokumentarfilm wird ab Donnerstag im Kino zu sehen sein. Es geht um eine besondere Berliner Schule, an der aufmüpfige, unangepasste junge Erwachsene ihren Mittleren Schulabschluss oder ihr Abitur machen können. Es ist ihre zweite Chance, an ihren heimischen Schulen sind sie alle gescheitert. Weil sie nicht ins System passten. „Berlin Rebel High School“ hat Alexander Kleider seinen Film genannt. Das Werk war neulich für den Deutschen Filmpreis in der Kategorie Dokumentarfilm nominiert, eine große Ehre.

Die Schule für Erwachsenenbildung, kurz: SFE, liegt etwas versteckt im Kreuzberger Mehringhof, einem linken Zentrum mit Kneipe, Theater, Buch- und Fahrradladen. Die SFE hat keinen Direktor, und es gibt dort keine Noten. Die Schule ist basisdemokratisch organisiert und selbstverwaltet, auf wöchentlichen Vollversammlungen diskutieren Lehrer und Schüler über alles. Auf staatliche Förderung verzichtet die Schule, wer sie besucht, zahlt 160 Euro im Monat. Der Unterricht beginnt nicht vor halb zehn, wer will, darf seinen Hund mitbringen.

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Seit 1973 gibt es diese radikal andere Einrichtung, seitdem haben dort Tausende junge Leute ihren Abschluss gemacht. „Die große Chance dieser Institution ist die vollkommene Eigenverantwortlichkeit“, sagt Alexander Kleider. „Niemand zwingt die Schüler, ihr Leben zu verändern, niemand setzt sie unter Druck oder kontrolliert sie.“ Der Regisseur kennt sich aus. Auch er hat an der SFE Abitur gemacht. Alexander Kleider ist 19 Jahre alt, als er das erste Mal von dieser „verrückten Schule in Berlin“ hört. Da will er hin.

Nach der zehnten Klasse hat er sich in Schwäbisch Hall zum Erzieher ausbilden lassen, doch er will noch studieren, dafür braucht er das Abitur. 1998 zieht er nach Berlin in eine Wohngemeinschaft. Und fängt an der SFE an. „Ich war begeistert, wie vertrauensvoll Lehrer und Schüler miteinander umgingen. Da war ein völlig neues Grundgefühl, ein Gefühl von Freiheit“, sagt er. Zwei Jahre später bekommt er sein Zeugnis, es ist kein Einser-Abitur, wichtig ist für ihn nur, dass er es geschafft hat. Und dass es Spaß gemacht hat.

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Dreizehn Jahre später steht Alexander Kleider wieder in der Schule für Erwachsenenbildung, diesmal als Dokumentarfilmer. Davor war er mit seinem Team in Südafrika, er hat dort Menschen in den Armenvierteln von Kapstadt begleitet. „Im Schatten des Tafelbergs“ heißt der Film, im Jahr 2013 ist er in die Kinos gekommen. Es ist ein trauriger Film.

Jetzt will Kleider etwas Positives machen, einen Film über eine Schule, die er als Alternative sieht zum deutschen Bildungssystem. Seit dem schlechten Abschneiden deutscher Schüler in der Pisastudie wird verbissen über Lernerfolge und Schulreformen diskutiert. „Aber es geht gar nicht darum, die Pisastudie mit lauter Einser-Kindern anzuführen“, sagt Alexander Kleider. Wichtiger seien mündige Menschen mit Freude am Leben. „In diesem Wahnsinnswettbewerb um gute Noten fehlt uns der Mut. Wir sind völlig verängstigt, wenn die Leinen locker sind.“ Jedes Jahr verlassen bundesweit etwa 50.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss. In Berlin gibt es jährlich etwa 3.000 Schulabbrecher.

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An der SFE hat Alexander Kleider einige davon kennengelernt, und das gleich zweimal, einst als Schüler und jetzt wieder als Regisseur. Es ist immer noch ein wilder Haufen, der da gemeinsam lernt. Angereist aus dem ganzen Land, gescheitert und enttäuscht – von der Schule, von den Lehrern, vor allem von sich selbst. Und diese Enttäuschten haben trotzdem noch genügend Elan, sich um ihren Abschluss zu kümmern. 310 Schüler lernen derzeit an der SFE, die meisten sind um die zwanzig. 14 Lehrer unterrichten sie. Die SFE sucht keine Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, sie schottet sich ab, hat keine Werbung nötig. Journalisten und Filmteams sind nicht gern gesehen.

Alexander Kleider schon. Er ist einer von ihnen. Auf einer Vollversammlung im Frühling 2013 beschließen Lehrer und Schüler, dass der Regisseur mit seinem Filmteam den Schulalltag begleiten darf. „Ich war überrascht, wie wenig sich verändert hat. Es gab immer noch die gleichen Probleme und die gleichen Sachen, die toll sind“, sagt Kleider heute.

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Zwei Jahre lang dokumentiert er das Leben einer Gruppe von Schülern, vom ersten Infotag bis zur Verkündung der Prüfungsnoten. Er darf sie im Unterricht filmen, in ihren WG-Zimmern, er fährt mit in ihre Heimatorte, er ist dabei, wenn es ihnen schlecht geht, wenn sie zweifeln, ob sie je das Abitur schaffen werden. Prüfungsangst lähmt die Schüler, auch Kleider hat das erlebt. „Ich hatte wahnsinnige Angst. Ich träume heute noch davon, das Abitur gar nicht geschafft zu haben.“

So unangepasst sich die SFE auch beschreibt, gleich am ersten Tag bekommen die Schüler eine klare Ansage. „Das ist kein Paradies für Hänger“, sagt eine Lehrerin in strengem Ton. „Wir sind eine freie, solidarische, nicht konkurrenzorientierte Schule. Wir lernen hier gemeinsam ohne Leistungsdruck, wir sind Teil eines kollektiven Projekts.“ Die SFE sei ein Laden, in dem die Schüler ganz viel Verantwortung lernen können, weil sie Verantwortung übernehmen müssen. Auch für die Schul-Etage. Lehrer und Schüler reinigen die Toiletten, Flure und Klassenräume, im Versammlungssaal werden jeden Tag Pausenbrote geschmiert. Jeder ist mal dran.

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