Abendgarderobe Im Hotel
Josef Bierbichler umgeben von den Musikern Maximilian Pongratz, Michael von Mücke, Martin von Mücke und Matthias Meichelböck (von links).
“Kofelgschroa” sind längst zum Aushängeschild von Oberammergau geworden. Neuerdings laden die Musiker Gäste wie Sepp Bierbichler zu ihren Salons im “Hotel Kovél” ein
Von Michael Zirnstein
Die Anziehungskraft zwischen dem Blasmusikmassiv Kofelgschroa und dem Schauspielkoloss Josef Bierbichler ist stark, doch die Annäherung gelingt nicht sofort. Nachdem die vier Gastgeber das kleine rote Auto mit Tölzer Kennzeichen an der Tiroler Straße 7 haben vorbeifahren sehen – “Das wird er sein!” -, vergeht noch eine ganze Weile mit Stühlerücken und Getränke aus dem Kellerloch holen, ehe der sehnlich Erwartete in der Tür steht. “Die Beschreibung war ja daneben”, sagt Bierbichler, ehe er die Abendgarderobe an Maximilian Pongratz, Michael von Mücke, Matthias Meichelböck und Martin von Mücke bemerkt. Die Burschen haben sich herausgeputzt für den Salonabend, mit Anzug, Weste und Mascherl, wie es modisch gewesen sein mag, als noch Thomas Mann in diesem Oberammergauer Haus logierte. “Da hätt’ ich mich ja auch anders angezogen”, sagt der Ehrengast, der im Lederblouson bierbichlerisch aussieht wie einer, der zum Stammtisch geht. “Brauchst du ein Backstage, Sepp?” fragen sie. “Wos is’n des?”, fragt er zurück, ohne durchblicken zu lassen, ob er es wirklich nicht weiß oder nicht wissen will. Vorsichtshalber erklärt Matthias Meichelböck, der Tenorhornist: “Ja, so ein Rückzugsort.”
So ein Rückzugsort ist die ganze Villa. Das war sie schon vor 110 Jahren. Als der Schriftsteller Josef Ruederer, Spross einer wohlhabenden Münchner Bankiers- und Brauereifamilie, ins Werdenfelser Land zog, ließ er dieses Gästehaus im Ortskern bauen und lud Autorenkollegen und Künstlerfreunde der Münchner Sezession ein. “Und ihr habt’s des jetzt gekauft”, stellt Bierbichler fest. “Nur gepachtet, das gehört der Gemeinde”, sagt Martin von Mücke, der Tubist. “Darf ich rauchen?”, will der Gast wissen, “ist das ein echtes Feuer im Ofen? Dann rauch’ ich da jetzt rein.”
Alle nicken. Schließlich sind sie die Hausherren im “Hotel Kovèl” unter dem Hausberg Kofel. Es ist kein richtiges Hotel, aber als sie sich einen Band-Bus kauften, fanden alle, der sehe “geschleckt” aus wie ein Hotel-Shuttle. Auf ihren Reisen bis in die USA schätzten sie die Melancholie der Hotels, deren “Behaglichkeit in der Fremde”, sagt Pongratz. Unterm Dach gibt es eine Schlafstube mit Mariacron auf dem Tisch. Bierbichler zieht es vor, außer Haus in einem Ferienapartment zu schlafen. Im ersten Stock hat die Band einen Probenraum, wo sie ihr drittes Album aufnimmt. Ihr Produzent Micha Acher von The Notwist findet die Akustik prima. Wie Ruederer wollen sie Gleichgesinnte zu gemeinsamen Aktionen einladen. Ein Raum im Parterre lässt sich zum Garten hin als Bühne öffnen – das perfekte Künstlerhaus.
Wie die Kofels da rangekommen sind, erklärt, warum diese Volkmusiker von der Einstellung her eher dem Punk zuzurechnen sind. Das Gebäude war heruntergekommen und vielen im Dorf ein Dorn im Auge. Sie forderten: “Reißt’s des Glump ab!” Eine Brauerei wollte das übernehmen und auf dem Grund ein Seminarhaus für das Luxushotel vis à vis hinstellen. Der Gemeinderat sprach sich mit 20:0 dafür aus. Eine aufsässige Künstlerszene (“Wir gegen den Millionär!”) besetzte das Ruederer-Haus. Das war eine wilde Zeit, etwa als hier jedes Jahr fünf Tage nonstop die Faschingspartys “Café Glumphaufen” stiegen. Die jungen Leute gründeten einen Unterverein des Museumsvereins, um das Haus zum Kulturhort umzubauen mit Kurs-, Atelier- und Wohnräumen. Die Mitglieder kratzten eigenhändig den bröckelnden Putz ab, setzten neue Fenster, machten alles einsturzsicher und WG-mäßig gemütlich. Immer vorne dabei die vier, die später Kofelgschroa wurden. Vor einem Jahr hat der neue Bürgermeister Arno Nunn, der will, dass sich was rührt im Ort, den Vorzeigermusikern Oberammergaus das Nutzungsrecht verpachtet. Das gehe in Ordnung, finden die ehemaligen Mitbesetzer, wie Ernst, der Goldschmied: “Vor zehn Jahren hat der Michi die erste Ziegelwand mit dem Vorschlaghammer eingeschlagen.” Er erinnert sich auch daran, wie sie in der Stube den Film “Winterreise” an die Wand warfen. “So lernten viele hier den Bierbichler kennen.”
Wie der Bierbichler auf Kofelgschroa gestoßen ist, will er nicht sagen, zumindest nicht der Presse. “Man kennt sie halt. Aus Film und Fernsehen.” Später in der Lesungspause erzählt er einem bekannten Kulissenbauer, er habe gerade die Möglichkeit, sein Buch “Mittelreich” zu verfilmen. “Das mache ich selbst. Wir sind schon recht weit. Aber gedreht ist noch nichts.” Jedenfalls hänge er “deswegen mit denen hier rum.” Soll heißen, Bierbichler will mindestens zwei Lieder der Gruppe für den Film, “eines für eine ganz bestimmte Stelle”. Kofelgschroas “Wann I” wird also das Herzstück von Bierbichlers “Mittelreich”.
Der wie jeden Monat nur per Mundpropaganda und mit einem einzigen Plakat als “Privatveranstaltung für alle” angekündigte Salonabend heißt zwar “Bierbichler liest sich”, aber die Hausherren spielen auch mit. Sie sitzen um den Gast herum auf Fenstersimsen, und derart wohlig beschallt wird das Grinsen des Gastes immer genießerischer. “Stereo!”, ruft er, “ich sitze hier privilegiert, was die Musik angeht. Jetzt brauchen wir ein Serbenlied.” Am nächsten kommt dem der Kosacken-artige Gesang, in den sie sich nun hineinsteigern.
Im Epos vom Seewirtssohn Pankratz geht es auch um leidende Künstlerseelen auf dem harten Land, ums Träumen, ums Schauen, um Dankbarkeit der Erde gegenüber. Der große Schauspieler Bierbichler kann beim Lesen die Zeit dehnen wie das Kofelgschroa mit seinen Mantra-Gesängen. Und tatsächlich verwandelt sich auch in seiner Geschichte einmal wer in einen Käfer, wie es in einem Lied der Band passiert. Beide sind Meister ihres Handwerks mit Schamanenseelen – im Hotel Kovèl haben sich die Richtigen gefunden.
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