Kleider Mode Renaissance
Die Mitte ist tot. Dieser Satz ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Mit dem Zusatz „es funktioniert nur ganz billig oder ganz teuer“, wird er gern dem Vielredner Karl Lagerfeld in den Mund gelegt. Aber tatsächlich ist der Urheber nicht zu finden, das Zitat wird einfach nur zitiert.
In der Mode ist dieser Satz seit Mitte der neunziger Jahre Gesetz. Und das in einem Land, aus dem immer die solidesten Produkte kamen, zu vernünftigen Preisen. Noch heute bieten überall im Land Secondhandläden gut erhaltene Kleidung von Bogner, Goldix, Mondi an, die die letzten Jahrzehnte unbeschadet überstanden haben. Viele der Hersteller haben es dagegen nicht bis in die Gegenwart geschafft – Goldix, Hersteller vor allem von Mänteln und Jacken für die exklusiveren Kaufhausabteilungen, hat erst vor gut einem Jahr aufgegeben. Auf dem ehemaligen Fabrikgelände in Neuburg an der Donau wird jetzt ein neues Wohngebiet geplant.
Seit Ende der siebziger Jahre die ersten Bekleidungsketten wie C & A und später Hennes & Mauritz Mode anboten, die sich auch Teenager leisten konnten – Kleider, die zu billig waren, um sie zu schonen –, da wurde die solide gemachte Mode nicht nur überflüssig, sondern auch langweilig. Plötzlich war es möglich, sich jede Saison neu einzukleiden. An der Kasse dachte die Lustkäuferin das Ende ihrer Kleidung gleich mit: Sie musste nicht in die bestehende Garderobe integriert werden, sondern diese ersetzen.
Die Firmen alter Schule aber haben einfach weitergemacht, sich keine neuen und vor allem jüngere Kunden gesucht, sie haben ihre Produkte nicht der neuen Zeit angepasst. Auch dann nicht, als die Fußgängerzonen voll waren mit Bekleidungsketten wie Orsay und Pimkie.
Die Mitte in der Mode war bis zu dem Zeitpunkt wichtig, als es noch Sonntagskleidung gab, als sich die Familie noch schön machte für den Kirchgang. Wenn der Mann von der Arbeit nach Hause kam, zog er seinen guten Anzug aus und eine Strickjacke an, die Frau hängte ihr Kostüm in den Schrank und streifte ein Hauskleid über und zur Hausarbeit die Kittelschürze.
Dabei war die Mitte in Deutschland schon immer wichtig – gerade in der Mode. Die Düsseldorfer Modemesse Igedo, heute CPD, war immer ein Hort der Mitte, dort wurde Mode zu einem mittleren Preis präsentiert, die immer solide und immer auch ein wenig langweilig war. Die Igedo war die Leitmesse in Deutschland, alle deutschen Modemarken stellten hier aus, es gab Bockwurst und Filterkaffee, und deutsche Boutiquenbesitzer aus Städten wie Roßbach, Forchheim oder Ingolstadt kauften ihre Ware hier. Sie gaben ihre mittelgroßen Budgets für deutsche Marken mit italienisch oder französisch klingenden Namen wie René Lezard, Mondi und Cinque aus. Dann wusste der Kunde: Die machen gute Hosen, Mäntel und Jacken, die nicht besonders modisch sein müssen, dafür aber lange halten.
Seit einigen Jahren gibt es modernere Fachveranstaltungen wie die Bread & Butter und die Premium, die sich nicht mehr Messe nennen wollen, weil sie sich ihre Aussteller selbst aussuchen. Die Kriterien in deren Sprache heißen „early adapters“, „cutting edge“ oder einfach „hot“.
Doch jetzt, in den Zeiten der Krise, scheint die Mitte in der Mode eine Renaissance zu feiern. Kein Trendforscher zweifelt daran. So schreibt das Fachblatt Textilwirtschaft über die Aussichten für dieses Jahr: „Das Bedürfnis nach Sicherheit und damit nach Qualität wird wachsen. Eine breite Konsumentenschicht wird weniger, dafür aber qualitativ anspruchsvoller kaufen.“
Gute Aussichten für Drykorn. Drykorn macht Mode für die Mitte. Marco Götz gründete seine Marke Mitte der neunziger Jahre, als der geflügelte Satz vom Tod der Mitte so übermächtig war, dass alle ihm abgeraten haben. Auf dem Hof des Firmensitzes im fränkischen Kitzingen steht Saab neben Mercedes neben BMW. Mitte – diese Bezeichnung für seine Mode gefällt Marco Götz nicht besonders. „Unteres Premiumsegment, mittlere Preislage ist besser.“ Die Günstigen unter den Teuren, da gehört Drykorn hin.
Als der Würzburger sich selbstständig machte, gab es nur Jeans. Aber Marco Götz wollte schmale Stoffhosen, die bezahlbar und gut verarbeitet sind. Seitdem trainiert der Chef sein Gehirn wie beim Spiel „Ich packe meinen Koffer“. Jede Saison kommt ein Kleidungsstück dazu, erst die Hose, dann Jacken, dann Mäntel und ein paar Ballen mehr Stoff im Lager. „Frag mich, welcher Stoff welche Nummer hat und was daraus gemacht wurde“, sagt er, als er in einer Lagerhalle vor einem hohen Regal mit Stoffrollen steht. Das im Kopf zu haben, ist eine Herausforderung an seine Fachkompetenz, der Beweis, dass er sich erst mit dem Produkt und dann mit dem Image beschäftigt.
Vor zehn Jahren fuhr der gelernte Industriekaufmann mit den ersten 30 Paar Hosen im Kofferraum von Boutique zu Boutique: „Wir verkaufen immer noch vor allem in kleineren und mittelgroßen Städten in Deutschland und nur über den Fachhandel.“ Die Grundlage für seine Firma ist uralt. 1999 kaufte Götz zusammen mit seinem Mentor Winfried Wagner eine Hosenfabrik im Schwarzwald und übernahm die Näherinnen mit einem Durchschnittsalter von über 50 Jahren gleich mit. Und eine Entwicklungsabteilung, wo man damals schon wusste, wie man gut sitzende Hosen macht, und es auch heute noch weiß.
Drykornhosen waren von Anfang an wegen ihrer deutschen Passform beliebt. Noch 2002 konnte sich Marco Götz nicht vorstellen, dass er mal mehr machen würde als Hosen. Auch der Name Drykorn klingt solide, dabei ist er einfach nur ausgedacht. Gern erzählt der 40-Jährige, dass er in einer Bäckerei auf seine Brötchen wartete, da sei ihm der Name eingefallen. Das sei natürlich Quatsch, aber: „Geschichten erzählen ist wichtig in der Mode.“ Viele in der Branche halten das für wichtiger als das Produkt selbst. Doch in Zeiten wie diesen wollen die Leute nicht mehr Teil einer Fantasie sein. Keiner will sich überlegen, was sein könnte, denn da könnte man auf die falschen Gedanken kommen.
„Bei uns kaufen jetzt eine Menge Leute, die statt des Luxusmantels für 2000 Euro einen für 350 Euro haben wollen. Den finden sie bei uns“, sagt Marco Götz. Wenn jemand sein Produkt kennt, dann er. Er hat beim Rundgang durch sein Firmengebäude auf einer Stange eine grüne Jacke entdeckt: „Sag mal Fred, ist das nicht zu sehr Jäger, die muss dunkler, gebrauchter aussehen.“ Fred, der Designer für Männermode, nickt.
Es war schon lange abzusehen, dass die sich ständig selbst überholenden Trends in der Mode irgendwann zum Stehen kommen mussten. „Wer will alle sechs Wochen neue Trends?“, fragt Götz. „Das ist eine Eigenentwertung, wenn du alle zwei Monate etwas völlig Neues anbietest. Wenn du zwölf Kollektionen im Jahr machst, musst du deine Kleider wegwerfen wie Erdbeeren, die keiner haben will.“ Trotzdem wird auch er oft gefragt: „Was werden wir tragen?“. Eigentlich ist damit gemeint: „Wie werden wir uns fühlen?“ Mode als Orakel eben. Noch nie wurden Designer, Trendforscher und Analysten so eindringlich um Antworten gebeten. Vielleicht muss das in Krisenzeiten so sein.
Greige ist die Farbe für den nächsten Herbst, eine Mischung aus Beige und Grau. Das kommt auf Bundfaltenhosen mit Minikaro vor – das Ganze nennt sich dann Retrohose. Dazu eine doppelreihige Strickjacke, kombiniert mit Hemd und Krawatte und ein Jackett mit handwerklich gemachten Patenttaschen, damit man sieht, dass ein Mensch seine Finger im Spiel hatte und nicht nur eine Maschine zur Herstellung programmiert wurde.
Das Karo scheint das Muster der Krise zu sein, vielleicht weil es Mühe kostet, es so zu verarbeiten, dass alles passt. Bei guten karierten Jacketts treffen die Linien an Schulter und Ärmel aufeinander. Daran kann man Qualität auf den ersten Blick erkennen. Im Chefbüro von Drykorn hängt eine Wand voll mit wolligen Karostoffen, mit Hahnentritt, Glencheck und Kreidestreifen. Daraus werden Anzüge für Männer und Frauen gemacht: „Wir werden uns im Herbst wieder richtig anziehen“, sagt Marco Götz.
Jetzt wird es also wieder solide in Deutschland – und geizig. Gerade mal knapp über 400 Euro gibt jeder Deutsche im Jahr für Mode aus, haben Wirtschaftsinstitute ausgerechnet. Zur wirklichen Krise kommt in der Mode noch eine andere, die der Verweigerung, bei all den schnelllebigen Trends mitzumachen: „Wir haben in den vergangenen zehn Jahren Bedürfnisse geschaffen, die gar keine waren. So viele Cruise-, Zwischen- und Prekollektionen wie es inzwischen gibt, müssten wir alle ständig auf Kreuzfahrt sein“, sagt Carlo Rivetti, Gründer der italienischen Marke Sportswear Company, in der Textilwirtschaft. Das Branchenblatt hat seit Ende des Jahres kein anderes Thema mehr als die Auswirkungen der Krise auf die Mode. Das Fachmagazin ist voll mit Umsatz-, Konsum- und Absatzkurven, und die zeigen alle nach unten. Auch die von bisher stets prosperierenden Bekleidungsketten wie Hennes & Mauritz. Dort sinken die Umsätze schon seit fünf Monaten in Folge.
Wenn Leute sich weniger für Mode interessieren, trifft das eben nicht nur ein paar Luxushäuser. Reihenweise müssen Hersteller von Nähmaschinen oder Webstühlen Insolvenz anmelden. In Rumänien werden in diesem Jahr 40 000 Textilarbeiter ihren Job verlieren.
Wie der Luxus leidet, führte gerade Chanel vor: Eine mobile Ausstellung mit von Künstlern gestalteten Chaneltaschen sollte eigentlich das ganze Jahr durch die Welt touren. Dafür gab es ein futuristisch geformtes Containergebilde, entworfen von der Stararchitektin Zaha Hadid. Anfang Januar ließ Chanel die Kunstgegenstände, die das Image noch mehr glänzen lassen sollten, einlagern. Jetzt müsse man sich aufs Kerngeschäft konzentrieren, hieß es aus Paris. Das betrifft auch 200 Mitarbeiter, denen jetzt gekündigt wurde. Der Sparkurs bei Chanel alarmiert die Luxusbranche.
Die hat, seit der Amerikaner Tom Ford Mitte der neunziger Jahre bei Gucci anheuerte, eine gewaltige Marketingblase geschaffen, um Luxus für den Massenmarkt anzubieten: Taschen, Parfüm und Schlüsselanhänger sollten zeigen: Auch du hast es fast bis nach oben geschafft. In Zeiten der Krise könnten diese Gegenstände ihre Träger daran erinnern, dass man sich vielleicht die Hülle für einen iPod, aber nicht die für seinen Körper leisten kann.
Klassik und Handwerk sind die neuen Stichwörter. Es gibt sogar schon einen Bestseller dazu: In „Handwerk“ beschwört der amerikanische Soziologe Richard Sennett den Wert der Handarbeit, die durch den Computer und all die virtuellen Welten verloren zu gehen droht. Er beschreibt ausführlich das mittelalterliche Handwerk und wie aus Handwerkern Künstler wurden. „Das größte Dilemma, vor dem der neuzeitliche Künstler-Handwerker steht, ist die Maschine.“ Das klingt, als würde heute alles nur noch von Maschinen in Fernost hergestellt. Die Mode reagiert auf den Wunsch nach Nachvollziehbarkeit. Plötzlich arbeiten beim italienischen Modeunternehmen Brioni nur noch Schneider und kein einziger Designer mehr, ließ der Chef erst kürzlich verlauten.
Die Berliner Katja Hartmann und Philip Payet haben sich mit ihrer Schneiderei gleich mal um hundert Jahre zurückversetzt, in eine Zeit, als Kleidung noch nach Bedarf geschneidert wurde. Im Vertrag eines Landarbeiters mit seinem Bauern war zum Beispiel festgelegt, dass er neben seinem kargen Lohn einmal im Jahr neue Kleidung geschneidert bekam, so konnten Knechte und Mägde ordentlich angezogen in die Kirche gehen.
Ganz so ernst nehmen es Katja Hartmann und Philip Payet zwar nicht, aber auch ihnen geht es um den nackten Bedarf nach Kleidung – auch so eine Idee, die sich eigentlich seit dem Beginn des Wirtschaftswunders erledigt hatte. Das Ehepaar hat sein Atelier mit voller Absicht mitten in Weißensee in einer Wohngegend eröffnet. In der Nähe des Kurfürstendamms hätten sie es sicher einfacher gehabt, aber das passt nicht zu ihrem Vorhaben: „Wir holen die Maßschneider aus dem Artenschutzgebiet.“
„Den Schneider um die Ecke gab es vor hundert Jahren überall“, sagt die gelernte Ingenieurin. Sie selbst hat das in Indien erlebt, dort hat sie einem Herrenschneider über die Schulter geschaut, bis sie genug wusste über das Schnittmachen. Jetzt hat sie die Gebärdensprache gelernt, um sich mit ihrem gehörlosen Schneider unterhalten zu können.
Das Ehepaar träumt davon, dass sich andere ein Beispiel nehmen und in Lichtenberg, Schöneberg und Hohenschönhausen Werkstätten eröffnen, damit das Geld bei den Menschen im Kiez bleibt. Wenn eine Nachbarin mit ihrer Lieblingsbluse vorbeikommt, weil sie eigentlich nur diese Bluse noch mal will, und keine neue für 19,90 Euro aus dem Discounter, dann machen die das bei Hartmann- Payet und überlegen gemeinsam, wie viel die Bluse kosten muss, damit alle was davon haben. Dann kostet die Neuanfertigung zwar doppelt so viel wie beim Discounter, aber nur einen Bruchteil einer Guccibluse.
Der Kunde, der gerade da ist, hat die Devise ausgegeben: Der Kittel ist mein Anzug. Christian Neugebauer ist Chefredakteur von „Gocalist“, einem Magazin für Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung, der bisher konventionell gekauft hat. Jetzt will sich der Österreicher eine neue Garderobe schneidern lassen. Ein Jackett mit kleinem Stehkragen, „so wie Nehru“, wünscht er sich seinen neuen Anzug in mehrfacher Ausführung.
Auch das Atelier von Hartmann-Payet gehört zur Mitte, allerdings zu einer neuen Zielgruppe, die nicht mehr anoym einkaufen will. Die mag das gute Produkt aus gutem Stoff, gut verarbeitet auf soliden Maschinen. Und sie will wissen, wer es gemacht hat.
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