Abendkleid Oberteil Spitze
In der Werkstatt des Ateliers Gabriele Hennig ist es still – nicht eine Nähmaschine rattert. Die Ruhe ist der Konzentration geschuldet. Alicia Bender (20) und Lena Gerard (22), die beiden Auszubildenden, setzen gerade zwei Kundenwünsche um. Beide haben den Nähmaschinen den Rücken gekehrt und arbeiten per Hand mit Nadel und Faden.
Gerard ist schon im dritten Ausbildungsjahr zur Damen-Maßschneiderin und sitzt an einer Jacke aus einem hochwertigen bestickten Stoff. Kollegin Bender hat gerade mit dem zweiten Ausbildungsjahr begonnen und fertigt ein Oberteil aus roter Spitze an, ein ebenfalls schwierig zu verarbeitendes Material. Denn am Ende müssen die einzeln zugeschnittenen Stoffteile so zusammengefügt werden, dass die Muster ein harmonisches Ganzes ergeben. Geduld und vor allem Können sind hier gefragt.
Mit viel Fingerspitzengefühl vermittelt Gabriele Hennig (66) ihnen die Fähigkeiten, die für das Handwerk des Damen-Maßschneiders unerlässlich sind. Hennig, die selbst Damen-Maßschneider-Meisterin ist, gibt ihr Wissen und ihre jahrelangen Erfahrungen gerne an den Nachwuchs weiter. Gerard ist die 59. und Bender die 60. Auszubildende, die in ihrem Atelier den Handwerksberuf erlernen. Drei Jahre dauert dies.
Gabriele Hennig gelang vor kurzem etwas Besonderes: Sie holte beim Wettbewerb der Ateliers mit einem ihrer Entwürfe, einem dreiteiligen, grünlich-goldschimmernden Abendkleid, den „Maßschneider-Award Damen 2016“ nach Frankfurt. Diese Auszeichnung gilt bundesweit als
„Oscar“ der Branche
Für ein zweites Modell, ein zweiteiliges Abendkleid mit apricotfarbenem Seidenrock und mokkafarbener Korsage mit Blumenspitze, das sie ebenfalls einreichte, belegte sie zudem den dritten Platz in derselben Kategorie. Ausgeschrieben wird die Konkurrenz vom Bundesverband der Maßschneider. Die Entscheidung fiel beim 54. Bundeskongress, zu dem Hennig zusammen mit ihren beiden Auszubildenden nach Kiel reiste. „Der Award ist die höchste Anerkennung, die man in meinem Beruf bekommen kann“, freut sie sich.
Mehrere Monate hat Hennig an den beiden Modellen gearbeitet. „Die Ideen hierzu habe ich bereits im vergangenen Dezember entwickelt, sie dann skizziert und die Stoffe ausgesucht“, erzählt sie. Angefertigt habe sie die mehrteiligen Abendkleider, wenn sie neben dem regulären Tagesgeschäft Zeit hierzu gefunden habe. Denn neben schicken und exklusiven Kleidern, auch für Hochzeiten, fertigt sie viel maßgeschneiderte Geschäftskleidung wie Kostüme und Hosenanzüge an.
Beim genaueren Betrachten offenbaren die beiden für den Wettbewerb eingereichten Entwürfe viele Details, die von höchster Handwerkskunst zeugen. „Ich habe alles, was möglich war, mit der Hand genäht“, erzählt Hennig. Jeder Schritt in der Fertigung ist genauestens durchdacht. Mit viel Zeitaufwand hat sie etwa die sichtbare Blumenspitze so aufgebracht, dass die Nähte der beiden Korsagen von außen nicht zu sehen sind. Selbst die Druckknöpfe sind mit Futter bezogen und jede der inneren Nähte mit der Hand versäubert.
Bei beiden Modellen gibt es weitere Raffinessen: So hat das Siegermodell zusätzlich einen Überrock, der aus Organza gefertigt ist. An der Korsage des Abendkleides, mit dem sie den dritten Platz belegte, ist ein Chiffon-Schal angebracht, der optisch als Träger funktioniert und gleichzeitig – einem Schmuckstück ähnlich – fließend am Rücken entlang hinunterfällt.
„Ich habe mich erst zum zweiten Mal am Wettbewerb der Ateliers, also der Meister, beteiligt, erstmals im Jahr 2010 in Bad Homburg, wo ich die Bronze-Medaille geholt habe“, schildert Hennig. Bereits 1972 machte sie ihren Meister, drei Jahre später eröffnete sie ihr heutiges Atelier in der Eppsteiner Straße 32.
Hennig lebt für ihren Beruf. „Seit 1978 bilde ich aus“, erzählt sie. 18 Jahre lang saß sie zudem ehrenamtlich im Meisterprüfungsausschuss der Handwerkskammer und weiß, worauf es ankommt. „Ich selbst verstehe mich nicht als Designerin, sondern als jemand, der das Handwerk liebt“, betont sie.
Kiel war nicht nur für Gabriele Hennig ein erfolgreiches Pflaster, sondern auch für Alicia Bender und Lena Gerard. Die beiden beteiligten sich dort an der Konkurrenz für Auszubildende. In der Kategorie „Avantgarde“ präsentierten sie ihre Entwürfe zum Thema „Schiff Ahoi!“ und belegten bei ihrer ersten Teilnahme gleich jeweils den dritten Platz. Die beiden Abiturientinnen träumen davon, in Zukunft selbst einmal ein Atelier zu eröffnen und auch auszubilden, wie sie verraten. „Es ist ein alter Beruf und mir gefällt die Tradition, die hinter diesem Handwerk steckt“, betont Lena Gerard. Es sei eben „Haute Couture“, die höchste Schneiderkunst.
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